Neulich Abend beim "Thesen-Lesen" mit Udo Erdmann. Angenehme Atmosphäre in warmen Ambiente, leichtes Geplauder mit den Sitznachbarn, freundliches Begrüßen der Bekannten und gegenseitiges Vorstellen der noch Unbekannten. In gespannter Erwartung sitze ich in der Reihe, freue mich auf die neuen Impulse und nehme das Geschehen um mich herum auf.
Und dann höre ich plötzlich diesen einen Satz. Er kommt von meiner Vordernachbarin. Sie unterhält sich mit einem jungen Mann an ihrer Seite. Keine Ahnung, worum es geht. Zugegebenermaßen beginne ich jetzt bewusst zu lauschen, aber es ist nicht wirklich zu verstehen. Nur dieser eine Satz. Klar und deutlich hängt er mir im Ohr: "Ich speche nicht mehr von Work-Life-Balance, sondern von Work-Life-Romance". Ha. Genial. Für eine Träumerin und Romantikerin wie mich fallen diese Worte auf fruchtbaren Boden. Ich finde es sowieso schon schwierig, überhaupt zwischen Work und Life zu trennen (wegen all der schwarz-weiß, gut-schlecht, erfüllend-erschöpfend, innen-außen Assoziationen). Und deshalb ist die bewusste (und liebevolle) Verbindung von Arbeit und Leben umso ermutigender. Nein, ich trenne nicht. Meine Arbeit ist ein Teil meines Lebens und ich liebe sie. Zugegebenermaßen sind wir uns nicht immer einig und finde ich sie auch manchmal anstrengend. Aber eine Liebesbeziehung bedeutet ja auch nicht immer nur "rosa Wolken", oder?! Übersetze ich Romance mit Romanze oder Liebeserlebnis und frage ich den Duden, bekomme ich folgende Definition: episodenhaftes Liebesverhältnis [das durch die äußeren Umstände als besonders romantisch erscheint] Episodenhaft! Das heisst, wir reden hier von Zeitabschnitten, in denen die Arbeit eine besonders wichtige Rolle im Leben spielt. Und sich dann abwechselt mit anderen "Aktivitäten", die für uns eine besondere Bedeutung haben. Seitdem ich diesen Satz gehört habe, denke ich wieder intensiver über mein Verhältnis von Arbeit (übersetze ich mit: "alle Aktivitäten zum Verdienen des Lebensunterhalts") und Nicht-Arbeit (z.B. Kuchen backen, Hausaufgaben mit der Tochter machen, Familientreffen, Fernsehen, Musik hören...) nach. Stand heute, dh. mitten im Berufsleben, ist die Zeit, die ich mit Arbeit und die Zeit, die ich mit Nicht-Arbeit verbringe rein rechnerisch, dh. auf der Uhr gemessen, absolut nicht in Balance. Und fragt man meine Tochter, bin ich ständig am arbeiten. Hat sie recht? Ja. Selbst wenn ich nicht am Entwerfen, Gestalten, Schreiben, Unterrichten, Beraten bin, tanzen die Synapsen Tango, fliegen schillernde Ideenschmetterlinge in meinem Kopf umher und bestäuben die Projekte wild durcheinander. Dann "muss ich nur schnell was aufschreiben", "nur noch schnell was fertig machen"... Und klassischerweise kommen mir immer dann die besten Ideen, wenn ich mich nicht bewusst oder bewusst nicht mit der Arbeit oder dem speziellen Projekt beschäftige. Beim Zeitunglesen, beim Spazierengehen... Ist das das dann nicht doch Arbeit? Ich hoffe doch! Schließlich werden aus diesen neuen Ideen genau die richtigen Lösungen für meine Kunden und Kundinnen geboren. Besteht mein Leben deshalb nur aus Arbeit? Nein! Denn das Gegenteil von einer Romanze ist eine Zwangsehe. Was also brauche ich, um die Liebe jung und frisch zu halten? Richtig. Abstand. Das heisst eigentlich doch Balance, oder? Ok, ein klares JEIN. Balance in mir selbst ja. Balance in dem, was mir wichtig ist. Was wichtig für mein Leben ist. Wenn ich allerdings all das in die Waagschale legen würde, was wirklich etwas zählt, würde ich sogar nach vorn überkippen. Wie soll man die quälende Sorge um die Familie, das wärmende Gefühl vom Nachhausekommen, das lästige Fensterputzen, das entspannende Raclette mit Freunden, die kribbelnde Vorfreude auf Überraschungsgeschenke und die langfristige Unwichtigkeit einer einzelnen Schulnote messen? Kann ich deshalb zu jedem Familienfest fahren, bei jedem Ereignis dabei sein? Obwohl es mir in dem Moment näher am Herzen ist, als das Schmuckstück an dem ich gerade arbeite? Nein. Wenn man mich fragt, ob ich es möchte, sage ich: "Sofort!" Aber dann ist die Arbeit wichtiger. Denn ich habe mich verpflichtet. Ich bin einem anderen Menschen verpflichtet. Und diese Verantwortung ist wichtig. (Mal abgesehen davon, dass es mir Spaß macht, etwas Besonderes für jemand anderen zu fertigen!) Ich muss abwägen. Das, was gerade wichtig ist, in Balance halten. Kurzfristig und langfristig. Gewissensbisse und Schuldgefühle warten eh an jedem Ende. Ich glaube, dass es letztendlich gar nicht um Work-Life-Balance oder Work-Life-Romance geht. Sondern mehr um die Balance von Freiheit und Zwang in all den Lebensbereichen. Um das erlebte "Wie" von etwas, das sowieso unausweichlicher Teil des Lebens ist. Zu können, was man will und zu wollen, was man muss, ist ein großer Segen! Wie ist das für Dich? Für Sie? Was haben Sie, was hast Du für Assoziationen und Ideen? Ich freue mich über einen Kommentar und Anregungen Und, warum habe ich wohl das Wort "Freizeit" vermieden? ;-) Herzlichst, Gisela Backe
0 Comments
Leave a Reply. |